Eigentlich dürfte es sie gar nicht geben – die Monster-Figuren in einem kleinen Museum in Mexiko. Es handelt sich nämlich um 24.000, ungefähr 10-30cm große Tonfiguren aus prähistorischer Zeit, die – und das ist das Unfassbare – Dinosaurier und Monsterkreaturen darstellen.

von Gabriele Lukacs

Nordwestlich von Mexico City, im Staat Guanajuato, befindet sich die Kleinstadt Acámbaro. Eine idyllische Gemeinde mit Gaucho-Flair in ländlicher Umgebung. Dort, wo nichts auf prähistorische Funde hindeutet, werden in einem Museum 7.000 Objekte in Vitrinen und weitere ca. 15-20.000 zerbrochene Figuren im Keller aufbewahrt.

Klein, aber fein ist das örtliche Privatmuseum, das 2002 seine Pforten öffnete. Vollgestopft mit Objekten, die allem widersprechen, was wir über die menschliche Geschichte zu wissen glauben.

Unzählige altamerikanische Keramikobjekte werden in Acámbaro zur Schau gestellt: Fabeltiere und Monsterwesen, aber auch Dinosaurier-Skulpturen. Viele weitere Figuren liegen bis heute im Museumskeller, weil sie in den oberirdischen Räumen keinen Platz finden.

Zusammengetragen hatte die Relikte der 1897 nach Mexiko ausgewanderte Bremer Kaufmann Waldemar Julsrud. Insgesamt 32.000 (!) Skulpturen ließ der vermögende deutsche Händler und Pferdezüchter von 1944 bis in die 1950er-Jahre in der Umgebung von Acámbaro von einem Bauern ausgraben und zusammensammeln. Der Feldarbeiter Odilon Tinajero und seine Familie lieferten jedes Keramikstück, das sie in der lehmigen Erde fanden, ab und erhielten dafür 1 Cent. Auch in den 1940er Jahren nur ein kleines Trinkgeld als Anreiz, die Objekte nicht einfach mit dem Pflug einzuebnen. Mit den Jahren wurden es so viele, dass Julsrud kaum mehr Platz fand, die Sammlerstücke in seinem Gutshaus aufzustellen. Es waren seltsame Kreaturen, Monster mit Tierköpfen und Menschenkörpern und Dinosaurier in eigenartiger Symbiose mit Menschen. Sie wurden nämlich entweder geritten oder am Halsband geführt. Andere wiederum kämpften mit einem Menschen oder wurden von ihm niedergerungen.

Was hat das zu bedeuten? Welche unbekannte Kultur Lateinamerikas schuf diese Kunstobjekte? Wie konnte jemand solche Tiere aus Ton formen, wenn er sie doch nie gesehen haben kann? Und wer denkt sich Dinos als Haustiere des Menschen aus?

Eine Ausgeburt der Fantasie oder doch Tatsachen?

Bald wurden auch Archäologen auf Julsruds Panoptikum aufmerksam. Denn unübersehbar war diese Sammlung mit ihren 32.000 Objekten ja nicht. Julsrud hatte immer behauptet, sie seien über die Jahre aus der mexikanischen Erde ausgegraben und ganz sicher echt und alt. Die Forscher kamen allerdings zu einem anderen Ergebnis: Es müsse sich um Fälschungen handeln, denn Dinosaurier sind seit Millionen von Jahren ausgestorben. Erst im Jahr 1968 analysierte ein US-Labor einige der Tonfiguren. Weitere Analysen bestätigten das überraschende Ergebnis:

1. Eine C14-Datierung von organischen Proben durch die Teledyne Isotopes Laboratories in Westwood (New Jersey) aus 1968 wies dem Material ein Alter von rund 6.500 Jahren zu.

2. Thermolumineszenz-Datierungen des Museum Applied Science Center for Archaeology (MASCA) der University of Pennsylvania um 1972. Ergebnis: Die Proben stammten aus der Zeit um 2550 vor Christus.

3. Altersuntersuchungen der Geochron Laboratories in Massachusetts vom 14. September 1995. Die Wissenschaftler bezifferten das Alter der Materialprobe auf rund 4.000 Jahre. Was also belegt, dass Julsruds Fundstücke zwischen vier- und sechstausend Jahre alt sind. Da sie aber keiner bekannten Kultur zugeordnet werden können, darf es dieses hohe Alter somit nicht geben. Es kann sich nur um eine Fälschung handeln. Punkt.

Nach Julsruds Tod war die Sammlung der Tonfiguren weggesperrt, in einem Lager verschlossen und nicht zugänglich. Die Regierung hatte einfach kein Interesse daran. Immer wieder wurden die Objekte umgelagert und dezimierten sich durch Transportschäden und sonstigen Schwund. Vor 15 Jahren konnte die Stadtgemeinde dann durch Sponsoren ein Haus zur Verfügung stellen und eine Direktorenstelle finanzieren. Seither ist das Museum regelmäßig für Besucher geöffnet.

Im Sommer 2016 machten wir uns – die Autorin dieses Artikels und ihr Mann – auf den Weg nach Mexico City. Von dort aus ging es mit mehrmaligem Umsteigen per Bus nach Acámbaro, jener quirligen Kleinstadt im Bundesstaat Guanajuato. Normalerweise verirrt sich kein Tourist dorthin, es liegt abseits der berühmten Pyramidenstätten.

Unmittelbar nach unserer Ankunft brachen wir direkt zum Museo Waldemar Julsrud auf, um die Reste der seltsamen Sammlung in Augenschein zu nehmen. Die ebenso sympathische wie engagierte Direktorin, Juana Ruiz, erwartete uns bereits, da wir unser Kommen vorsorglich angekündigt hatten. Als studierte Museumspädagogin ist sie seit 2003 dort beschäftigt. Finanziert wird ihre Stelle von einer Stiftung.

Was uns Señora Ruiz mit sichtlichem Stolz zeigte, übertraf alle Erwartungen: In sieben separaten Räumen wird eine übersichtlich gestaltete Auswahl der Tonfiguren präsentiert. Wir waren überwältigt von der außergewöhnlichen Fülle an kuriosen Objekten, die uns aus den dortigen Vitrinen anstarrten: 1.227 Keramik-Figuren sind im Erdgeschoss aufgestellt! Dinosaurier aller Art, mit Menschen oder anderen Wesen. Aber auch Pfeifen, Gefäße oder verzierte Scheiben harren hier seit Jahren weiterer Analysen.

Zu sehen sind nicht zuletzt Menschen, die auf Dinosauriern sitzen, auf diesen reiten, sie umarmen oder sogar mit ihnen kämpfen. Manche Darstellungen lassen einen tödlichen Ausgang erahnen: So beißt oder frisst die eine oder andere Riesenechse am Boden liegende menschliche Kreaturen. Ein Panoptikum wie aus einem Albtraum entsprungen – Objekte einer unbekannten Kultur, um deren Erforschung sich offizielle Stellen nicht einmal bemühen, wie uns die Direktorin mit Bedauern bestätigte. Sie stelle zwar immer wieder entsprechende Gesuche, erzählte Juana Ruiz, diese werden von den mexikanischen Behörden aber bis heute ignoriert. Dinosaurier und Menschen gemeinsam abgebildet? Das widerspricht jeder Geschichtsschreibung.

Mit Staunen inspizierten wir eine Vitrine nach der anderen. Unter den 1.227 Objekten waren keine zwei identischen Stücke zu sehen! Wie war das möglich? Gab es kein Vorbild? Keine bekannte Vorlage, die dutzendmal kopiert wurde? Señora Ruiz schüttelte den Kopf. „Das stimmt, es gibt keine zwei gleichen Figuren. Alle sind offenbar aus der Fantasie oder aber aus dem Gedächtnis der unbekannten ‚Künstler‘ seinerzeit jedes Mal neu aus Ton modelliert und gebrannt worden.“ Eine gewagte Behauptung!

Bald stellten wir fest, dass viele der Figuren aussehen, als ob sie einst aus Plastilin hergestellt worden waren, gerade so, wie Kinder sie formen würden. Andererseits waren Details wie Zähne, Klauen oder Rückenpanzer auffallend detailliert ausgearbeitet, so, wie es Kinder kaum täten. Was ebenfalls auffiel: Einige der Objekte zeigen bis heute Reste von Bemalung. Die meisten aber waren sauber, so, als ob sie nie in der Erde gelegen hätten. Keine Patina, kein Schmutz, keine Abschürfungen, kaum Bruchstücke.

Dieser Umstand wird auch gerne von den Skeptikern als Argument für eine „offensichtliche Fälschung“ angeführt. Wir hakten also genauer nach: Señora Ruiz begründete die verdächtige Unversehrtheit damit, dass Sammler Julsrud die Figuren gesäubert hatte, um sie Besuchern in seinem Haus stolz zu präsentieren. Die Frage nach den Bruchstücken, die ja bei Bodenfunden unweigerlich auftreten, konnte vor Ort ebenfalls geklärt werden: Besagte Reste liegen im verschlossenen, nicht öffentlich zugänglichen Keller, während im Museum nur die schönsten und vollständigen Stücke gezeigt werden.

Das war das Stichwort für uns! Nachdem wir einige Stunden im Gespräch mit der Direktorin und dem Fotografieren der Objekte zugebracht hatten, baten wir darum, das verschlossene Kellerarchiv doch noch betreten zu dürfen. Frau Ruiz verneinte einmal mehr und bedauerte ausdrücklich, sie dürfe niemanden hinunterlassen. Dies sei streng verboten und nur mit offizieller Genehmigung möglich. Es stünde außerhalb ihrer Kompetenz, uns eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen.

Glück braucht der Mensch. Und so fiel Frau Ruiz nach einiger Überzeugungsarbeit von uns – nicht zuletzt dank dem Argument, dass wir im Auftrag eines deutschsprachigen Mystery-Magazins extra hierhergekommen waren – doch noch eine Alternativlösung ein. Sie würde ganz einfach in den Keller hinuntergehen, um Prospektmaterial für uns zu holen. Da sie uns nicht unbeobachtet im Museum zurücklassen dürfe, sollten wir sie notgedrungen begleiten. Aber: Fotografieren wäre nicht erlaubt, betonte sie erneut, außer auf der Treppe …

Unzählige Kisten voller Kreaturen aus der Anderswelt

Noch mehr Glück braucht der Mensch, und so sollte es die gute Frau mit den offiziellen Bestimmungen kurze Zeit später nicht mehr allzu genau nehmen. Denn im Keller angekommen, eröffnete sich uns eine weitere fantastische Welt an höchst seltsamen Kreaturen, die bisher nur ganz wenige Menschen zu Gesicht bekommen haben: der Rest der Julsrud-Sammlung mit mindestens 25.000 Figuren! Von staatlichen Bediensteten einst lieblos in Kisten, Kartons und Nylontüten verpackt, auf meterlangen Regalen in etlichen Etagen und Reihen eingelagert. Daneben haufenweise Kartons mit Scherben, zerbrochenen Figuren und weiteren Bruchstücken. Kaum auszudenken, wie viele Objekte dies wären, sollten all die Teile von fachkundiger Hand je wieder zusammengesetzt werden.

Staunend blickten wir uns im Keller um und erspähten dabei erneut anthropomorphe und zoomorphe Monster in Hülle und Fülle. Besonders auffällig: Viele Figuren haben spitze Schädel, auffällig große Schlitzaugen und nur vier Finger. Götter, Dämonen, Fabelwesen, ja gar Außerirdische? Direktorin Ruiz zuckte ratlos mit den Schultern und zeigte uns stattdessen einen deformierten Totenkopf in der Sammlung, der die Merkmale der bekannten Langschädel aufwies. Auch machte sie uns auf Wachsspuren an manchen Abbruchstellen aufmerksam – „bereits von Julsrud notdürftig zusammengeklebte Stücke“.

Die Kisten im Keller waren zwar beschriftet – samt genauen Stückangaben aller rund 24.000 Artefakte. Ob ihr Inhalt je professionell katalogisiert oder fotografiert wurde, wagten wir gar nicht erst zu fragen. Zumindest versicherte Señora Ruiz, alle ausgestellten Figuren persönlich zu kennen. Nun wollten wir ihre Meinung zur Fälscher-These hören.

Echt oder falsch?

Die Direktorin erzählte uns die Geschichte über den wohlhabenden, deutschen Unternehmer Waldemar Julsrud, der um die Jahrhundertwende nach Mexiko kam. „Ein ehrenwerter Mann“, wie seine Zeitgenossen übereinstimmend versicherten.

Vehement verneinte Señora Ruiz die Möglichkeit der Fälschung. Weshalb? Julsruds „Ausgräber“ Odilon Tinajero, so betonte sie, war Analphabet, konnte also keine Fachbücher lesen, aus der er sein Wissen über Dinosaurier bezogen haben könnte. Auch Bilder gab es nicht Mitte der 1940er-Jahrein diesem abgelegenen Teil von Mexiko, weder Zeitungen, noch TV-Geräte. Zudem besaß Odilon keinen Ofen, wo er die unzähligen Figuren hätte brennen können. Nie wurde Rauch bei seiner Hütte gesehen, wie seine Nachbarn überzeugend aussagten. Allein die Menge von 32.000 Figuren hätte ja eine ganze Fälscherwerkstatt benötigt.

Odilon Tinajero hatte nie von prähistorischen Funden gesprochen. Für ihn waren das Figuren, die durch das Pflügen der Felder zufällig hervorkamen und Julsrud einen kümmerlichen Cent pro Stück wert waren. Und nun kam Frau Ruiz’ überzeugendstes Argument: Tatsächlich, so bestätigte sie uns, würden derlei Figuren noch heute unter abgerissenen Häusern von Acámbaro gefunden. Sogar Archäologen der staatlichen Behörde fanden sie bei Ausgrabungen in uralten Schichten … und lassen sie sofort verschwinden.

Genauso wie eine nicht unerhebliche Anzahl von ursprünglich 32.000 Objekten auf unerklärliche Weise abhandenkam. So, dass heute insgesamt nur mehr 25.000 Objekte vorhanden sind – sofern all die Bruchstücke fachgerecht restauriert und zusammengesetzt würden. Man kann der engagierten Frau nur wünschen, dass der mexikanische Staat ihren Appellen künftig mehr Gehör schenkt und die von ihr verwaltete „Monster-Sammlung“ endlich mit modernsten Methoden untersuchen, durchleuchten, restaurieren und katalogisieren lässt. Ehe all den historisch umstrittenen Figuren und Relikten mangels Finanzen das Schicksal droht, endgültig in alle Welt verscherbelt zu werden

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